„Es gab keine Schule. Wir lebten auf der Straße.“

Raul Teitelbaum, 2002

Mit den Partisanen

Raul ist zehn Jahre alt, als die Wehrmacht in seiner Geburtsstadt Prizren (Kosovo) einmarschiert. Später besetzen italienische Truppen die Stadt. Raul schließt sich einer illegalen Jugendorganisation der Partisanen an. Als sein Vater verhaftet und in einem Lager in Albanien interniert wird, helfen ihm Freunde seiner Eltern. Nach der Kapitulation Italiens folgen Raul und seine Eltern den Partisanen in die Berge. Als sie 1944 nach Prizren zurückkehren, werden sie verhaftet und in das „Judenlager Semlin“ bei Belgrad transportiert. Von dort deportiert die SS die Familie später in das KZ Bergen-Belsen.

Raul Teitelbaum (Obere Reihe in der Mitte), um 1940
Die Jugendlichen verteilen Flug­blätter und übermalen italienische Propagandaplakate. Um LKW zu stoppen, streuen sie Zucker in deren Tanks und lassen Luft aus den Reifen. In der Arztpraxis seines Vaters sammelt Raul heim­lich Medikamente für die Partisanen. Seine Eltern wissen von all dem, so glaubt er, nichts.
Josef Teitelbaum im Lager Preza (1. Reihe links sitzend), 1943
Als ehemaliger Militärarzt, der der Besatzungsmacht gefährlich werden könnte, wird Rauls Vater 1942 im italienischen Lager Preza in Albanien interniert.
Raul und Josef Teitelbaum (re.) im Lager Preza, 1943
Im italienischen Internierungslager Preza sind Besuche erlaubt. So entstand dieses Foto. Für Raul ist es zeitlebens besonders wichtig, weil es die letzte Aufnahme von seinem Vater ist. Nach der Befreiung in Tröbitz wird die Familie in Mühlberg an der Elbe untergebracht, wo der Vater stirbt. Seine Mutter überlebt.

„Es gab keine Autos in Prizren vor dem Krieg, der Verkehr lief mit Pferden. Es war ein sehr ruhiger Ort. Mein erstes Erlebnis mit Autos war die Kolonne von Wagen beim Einmarsch der Wehrmacht.“

Zeichnung: Ein Jugendlicher steckt etwas in das Ohr eines Mulis, ein andere Junge hockt und hat vor sich Murmeln liegen
Die Jugendlichen stecken Murmeln in die Ohren von Mulis, mit denen italienische Soldaten Waffen über die Berge transportieren wollen. Dadurch sollen die Tiere beim Aufstieg das Gleichgewicht verlieren.

Raul Teitelbaum, im April 1945 vierzehn Jahre alt

Raul Teitelbaum wird 1931 in Prizren im Kosovo im damaligen Jugoslawien in eine bürgerliche Arztfamilie geboren. Die Beteiligung am Widerstand der Partisanen, den auch sein Vater unterstützte, prägt Raul nachhaltig. 1949 übersiedelt Raul mit seiner Mutter nach Israel, wo er eine Familie gründet. Nach Militärdienst und Geschichtsstudium wird er Journalist. Später leitet er in Bonn das Deutschland-Büro der größten israelischen Tageszeitung Yediot Aharonot. Als linksgerichteter Politiker, Journalist und Über­lebender des Holocaust setzt er sich sein Leben lang für Gerechtigkeit ein.

Hochzeitsfoto von Josef und Paula Teitelbaum, geb. Weisselberger, 1925
Josef und Paula stammen beide aus Galizien in Polen. Sie lernen sich in Wien kennen. Nach Prizren gehen sie, weil Rauls Vater dort eine Stelle als Militärarzt bekommt. Später lässt er sich dort als Gemeindearzt nieder.
Raul Teitelbaum (Zweite Reihe von unten, links außen) mit seiner Schulklasse in Prizren, um 1946
Nach der Befreiung kehren Raul und seine Mutter nach Prizren zurück. Später ziehen sie nach Belgrad, damit er hier sein Abitur machen kann. Raul engagiert sich in kommunistischen Schüler- und Jugendgruppen. Außerdem schreibt er journalistische Beiträge für einen Radiosender.
Raul Teitelbaum bei einer Demonstration, 1959
In Israel protestiert Raul gegen ein Abkommen mit der Bundesregierung unter dem damaligen Bundeskanzler Adenauer. Der Grund ist Adenauers Staatssekretär Hans Globke, der während des „Dritten Reichs“ als Mitarbeiter im Innenministerium einen wichtigen Anteil an der Formulierung und Durchsetzung antisemitischer NS-Gesetze hatte.

„Wir, die Überlebenden, rufen die Welt auf, Antisemitismus, Rassismus und die Leugnung des Holocaust unnachgiebig zu bekämpfen.“

Raul Teitelbaum, 2008

Raul Teitelbaum überlegt, was der Holocaust für Juden heute bedeutet. | Video 2:55 min

„Was Dir verhasst ist, das füge auch deinem Nächsten nicht zu.“

Manifest der Überlebenden, Jerusalem 2002

Ein Sprachrohr der Überlebenden

In Israel engagiert sich Raul Teitelbaum in der Linken. Als Publizist und Zeitzeuge beteiligt er sich in Deutschland an wichtigen öffentlichen Diskussionen über die NS-Vergangenheit. Dazu zählt die Goldhagen-Debatte über die Rolle des Antisemitismus. Intensiv befasst sich Raul Teitelbaum auch mit der Geschichte der „Wiedergutmachung“ nach 1945. 2002 schreibt er an einem „Manifest der Überlebenden“ mit, das sich besonders an die nachfolgenden Generationen richtet. Mit seinen eigenen traumatischen Erlebnissen als Holocaust-Überlebender setzt sich Raul auch künstlerisch auseinander.

Raul Teitelbaum als Redner, Jerusalem 2008
Podiumsdiskussion zur Debatte über das Buch „Hitlers willige Vollstrecker”des Historikers Daniel J. Goldhagen mit dem Journalisten Frank Schirrmacher, dem Zentralrats-Vorsitzenden Ignatz Bubis, dem SPD-Politiker Freimut Duve (MdB), der Historikerin Jane Caplan und Raul Teitelbaum, Bonn 1996
Raul Teitelbaum, Bergen-Belsen, Israel 1949
Das ist das erste Bild von Raul Teitelbaum, als er mit 19 Jahren zu malen beginnt. Das Bild hängt lange im Schlaf- und Wohnzimmer. Später stiftet Raul es der Gedenkstätte Yad Vashem.