„Wo konnten wir hingehen? Wir fühlten uns wie Fremde.“

Moshe Nordheim, 1945 elf Jahre alt, 2004

Rückkehr in das alte Leben?

Nach der Befreiung werden die Überlebenden an ihre letzten Wohnorte zurückgebracht. Doch das alte Leben existiert nicht mehr: Familienangehörige und Freunde sind ermordet, Eigentum ist geraubt worden. Sie sind heimatlos. Viele Überlebende versuchen, nach Israel oder in die USA auszuwandern. Über die Vergangenheit wird kaum gesprochen, im Vordergrund steht der Aufbau eines neuen Lebens. Die Kinder sollen sich an ein normales Leben gewöhnen, doch die Erinnerungen an die Schrecken verlassen viele nie. Mit Tröbitz bleiben viele Überlebende als dem Ort ihrer Befreiung oder der letzten Ruhestätte von Angehörigen verbunden.

Urkunde des Jüdischen Nationalfonds über die Pflanzung von 26 Bäumen in den Wäldern von Safed (Israel), 1993
Seit 1992 erinnert ein kleiner Wald in Israel an die etwa 320 in Tröbitz verstorbenen Jüdinnen und Juden. 1993 lässt der Überlebende Hans Vleeschouwer auch Bäume für die 26 Menschen aus Tröbitz pflanzen, die sich bei der Pflege von schwerkranken Überlebenden mit Typhus infiziert hatten und gestorben waren.
Micha Gelber spricht in Tröbitz bei der Eröffnung einer Freiluftdauerausstellung über den „Verlorenen Transport”.
Im Publikum sind viele Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und ihre Angehörigen, 23. April 2015
Einweihung der Gedenktafel auf dem jüdischen Friedhof im Rahmen der Gedenkveranstaltung in Tröbitz, 27. April 1995.
Die Tafel ließen Überlebende in Israel anfertigen. Sie enthält die Namen aller Toten des Transports.
Heutige Wohnorte der Überlebenden, die in der Ausstellung vorgestellt werden
Im Juni 1945 werden etwa 700 Überlebende in ihre Heimatländer gebracht. Andere wandern später nach Israel, Nordamerika oder in andere Länder aus.

„Nach allem, was wir durchgemacht hatten, waren wir keine Kinder mehr. Wir waren Erwachsene, wir dachten wie Erwachsene und redeten wie Erwachsene.“
Moshe Nordheim, 2004

„Wir haben nicht besonders darüber gesprochen.“

Raul Teitelbaum, 1945 vierzehn Jahre alt, 2002

„ … ich wollte meinen Mund nicht geschlossen halten.“

Moshe Nordheim, 1945 elf Jahre alt, 2022

Kinder-Überlebende und die Vergangenheit

Jüdische Kinder und Jugendliche sind eine kleine Gruppe unter den Holocaust-Überlebenden. Erst etwa 30 Jahre nach dem Holocaust werden ihre kinderspezifischen Verfolgungserfahrungen als Spätfolgen anerkannt. Seit Ende 2014 können jüdische Kinder-Überlebende eine geringe finanzielle Anerkennung erhalten. Heute sind sie in einem Alter, in dem die traumatischen Erlebnisse ihrer Kindheit stärker im Gedächtnis auftauchen. Die Erinnerung an den Holocaust hat sie nie verlassen. Viele haben erst seit kurzem angefangen, mehr darüber zu sprechen. Andere engagieren sich als Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gegen das Vergessen.

Der Kinder-Überlebende Steven (Stefan) Hess (re.) mit seinen Söhnen (v. li.n.re) Michael, David und Daniel in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, 2015
23. April 2018 in Tröbitz: Zvi Birnbaum, Überlebender des „Verlorenen Transports", mit seinem Sohn Avner und dem Enkel Noam

„Nach unserer Rückkehr … versuchten unsere Eltern so weit wie möglich wieder ein normales Leben zu leben. Sie sahen es als ihre Aufgabe, dass wir mit der Vergangenheit klarkommen und uns zu überzeugen, dass diese schreckliche Erfahrung nicht Teil des normalen Lebens ist.“
Micha Gelber, 1945 zehn Jahre alt, 2001

„Ich kannte ja keine andere Realität als die des Lagers. Meine erste Freundin in den USA berichtete mir eines Tages von dem Tod ihres Großvaters und den umfangreichen Vorbereitungen für die Beerdigung. Ich sagte ihr voller Ernst, dass Amerika ein sehr reiches Land sein müsse, wenn man nur eine einzelne Person bestatte. In der jüdischen Religion würden keine Einzelpersonen beerdigt. Man warte vielmehr, bis Tausende Tote da seien, und dann schmeißt man sie in eine Grube.“
Marion Ein Lewin

Das Leben danach. | Video 4:26 min

„ ... ich will nie ein Opfer werden – egal von was.“

Mike Hess, Sohn von Steven Hess, 2021

Die Kinder und Enkel der Zeitzeugen

Die Kinder-Überlebenden gründen später eigene Familien. Sie werden selbst Eltern und Großeltern. Mit ihren eigenen Kindern sprechen viele Überlebende jedoch nur selten über die Verfolgung. Dennoch wird auch das Leben der nachfolgenden Generationen durch die Erfahrungen und Traumata der Eltern, Großeltern und Urgroßeltern vielfältig beeinflusst. Häufig versuchen die Kinder der Überlebenden beispielsweise, ihre Eltern zu schützen. Manche Enkel kommen leichter mit ihren Großeltern über die Zeit der Verfolgung ins Gespräch. Gemeinsam ist vielen Nachfahren, stark sein zu wollen.

Familienfoto mit Raul Teitelbaum (li.) und seiner Ehefrau Aliza, den Töchtern Iris und Anat sowie den Enkeln, Jerusalem, 2016

„Ich bin die Tochter eines Überlebenden. Mein Vater erzog mich dazu, schmerzhafte Gefühle wie Trauer nicht zuzulassen, weil er selbst sie nicht ertragen kann.“
Iris Gelber, Tochter von Micha Gelber, 2021

„Radikalismus ist schlecht, immer und überall. Jeder soll gehört werden. Und es geht um Ausgewogenheit. Wir müssen alles dafür tun, radikale Entwicklungen zu verhindern.“
Ronni Raveh, Enkelin von Moshe Nordheim, 2022

„Wir haben immer versucht, unsere Eltern zu schützen. Ich habe ihnen nie erzählt, wenn ich krank war. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machen.“
Iris Teitelbaum, Tochter von Raul Teitelbaum, 2022

„Eine der wichtigsten Sachen, die uns Groß­mutter weitergegeben hat, ist, alle Menschen als gleich anzusehen. Egal ob Jude oder Araber, ob gläubig oder nicht ­— alle sind Menschen.“
Rotem Lapid, Enkel von Mirjam Andriesse-Lapid, 2022

„Egal, was passiert, ganz gleich, wie schlimm es ist, es kommt auf Dich an.“
Tal Meir-Prager, Enkelin von Hannah Pick-Goslar, 2022

Rotem Lapid über Tröbitz und die Bedeutung der Erinnerung